Dienstag, Juli 15, 2025
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Unternehmen zukunftssicher ausrichten: Wie Sie Ihr Geschäftsmodell systematisch hinterfragen

Geschäftsmodelle, die ein Unternehmen einst erfolgreich gemacht haben, können im Laufe der Zeit an Schlagkraft verlieren. Technologische Umbrüche, verändertes Kundenverhalten und neue disruptiv angreifende Marktbegleiter sind der Grund, dass etablierte Unternehmen ihr Geschäftsmodell regelmäßig auf den Prüfstand stellen müssen. Andernfalls droht die Gefahr, von innovativen Ansätzen überholt zu werden: Schmerzlich erleben dies aktuell beispielsweise Banken, denen Trade Republic, Revolut und N26 zu schaffen machen.

Eine Studie von McKinsey ergab, dass die durchschnittliche Lebensdauer von Großunternehmen dramatisch gesunken ist – von 61 Jahren (1958) auf unter 18 Jahre heute. Die großen Börsenindizes sind da deutlich. Nur 15 der 100 Unternehmen im Nasdaq100 sind länger als 25 Jahre im Index und nur 10 von 50 Titeln des Euro SToxx50. Etwas konservativer geht es da im DJI30 (57%) und im Dax40 (40%) zu.

Die Botschaft ist klar: Wer zukunftssicher führen will, darf sich nicht auf klassischen Erfolgsmodellen ausruhen. Wie überaltern selbst bewährte Geschäftsmodelle und wie kann man systematisch sein eigenes Geschäftsmodell hinterfragen und erneuern. Praxisorientiert und Schritt für Schritt: Disruptive Denkansätze, erprobte Methoden (St. Galler Business Model Navigator, Business Model Canvas, Blue Ocean Strategy, Golden Circle) und ein 5-Schritte-Leitfaden, um das eigene Geschäftsmodell fit für die Zukunft zu machen – inklusive Reflexionsfragen, Fallbeispiele und einem konkreten Handlungsappell.

Warum bewährte Geschäftsmodelle veralten

Unternehmerischer Erfolg von gestern ist kein Garant für morgen. Bewährte Geschäftsmodelle können aus mehreren Gründen obsolet werden: Erstens verändern sich Kundenerwartung, Kundenverhalten und Kundenbedürfnisse – was gestern gefragt war, könnte morgen unattraktiv sein. Zweitens schreitet die Digitalisierung voran: Neue Technologien ermöglichen neuartige Angebote oder effizientere Prozesse, die bestehende Modelle aushebeln können. Drittens drängen neue Wettbewerber mit innovativen Geschäftsmodellen auf den Markt und bedrohen etablierte Unternehmen. So haben z. B. Streaming-Anbieter die Musikindustrie revolutioniert und digitale Plattformen wie Airbnb oder Uber traditionelle Branchen durcheinandergewirbelt.

Und die nächsten Disruptionen kommen mit Sieben-Meilenstiefeln. Wer heute einen Onlineshop betreibt und klassischen Händlern das Geschäft genommen hat, wird in den kommenden drei Jahren erleben, wie Agentic Commerce den E-Commerce und M-Commerce in die Nische treibt. Agentic Commerce bezeichnet das neue Modell des E-Commerce, bei dem autonome KI-Agenten im Sinne der Käuferinteressen eigenständig Produkte oder Dienstleistungen auswählen und den Kaufprozess bis zum Abschluss steuern. Dabei wirken sie proaktiv und handeln ohne jeden einzelnen Befehlsschritt durch den Nutzer.

Globale Player und Start-ups sind oft agiler und denken ihr Geschäftsmodell von Grund auf neu. Was machen diese Unternehmen anders? Die dramatisch gesunkene Lebensdauer von Großunternehmen im S&P-500-Index macht deutlich, wie schnell Marktführer von der Bildfläche verschwinden können. Ursachen sind oft ein Festhalten an überholten Strategien und das Versäumen, sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen und erforderlichenfalls auch das alte Geschäftsmodell zu kannibalisieren..

Die Führungskraft von heute muss ein Problembewusstsein dafür entwickeln, dass auch lange erfolgreiche Geschäftsmodelle ein Verfallsdatum haben. Die zentrale Frage lautet: Woran würden wir erkennen, dass unser Geschäftsmodell an Grenzen stößt? Mögliche Anzeichen sind stagnierendes Wachstum, schwindende Margen trotz Effizienzmaßnahmen, neue Kundenanforderungen, die man kaum noch bedienen kann, oder Innovationen der Konkurrenz, die am eigenen Angebot vorbeiziehen. Aber dann ist es zu spät. Nur wer sich früh fragt, wo ist das potenzielle Kern-Asset („Where ist the meat?“) und reagiert, dem geht es nicht so, wie den Universalbanken oder dem klassischen Fachhandel, der früher unsere Innenstädte so attraktiv gemacht und belebt hat.

Disruptive Denkansätze: Das eigene Geschäftsmodell radikal hinterfragen

Wie aber findet man heraus, wo das eigene Geschäftsmodell erneuert werden muss? Hier helfen disruptive Denkansätze – also Vorgehensweisen, die bewusst mit dem gewohnten Denken brechen. Ziel ist es, eingeschliffene Annahmen aufzudecken und Raum für radikal neue Ideen zu schaffen. Eine wichtige Voraussetzung: Schaffen Sie im Team ein Klima, in dem „Denktabus“ aufgehoben sind. Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ sollten ausdrücklich verboten werden. Stattdessen darf – ja muss – alles hinterfragt werden.

Ein bewährter Ansatz aus der Strategieberatung ist die sogenannte „Beerdigungsrede“ für das eigene Unternehmen. Stellen Sie sich vor, Ihr Unternehmen existiert nicht mehr: Welche Entwicklungen könnten zu dessen „Tod“ geführt haben? Diese makabre Übung, die etwa McKinsey in Veränderungsprojekten einsetzt, hilft Führungsteams, unbequeme Wahrheiten zu erkennen. Plötzlich wird greifbar, welche Versäumnisse heute die Existenz morgen kosten könnten – zum Beispiel das Übersehen digitaler Trends oder das Festhalten an einem sterbenden Marktsegment.

Ebenfalls hilfreich: Denken wie ein Disruptor. Versetzen Sie sich in die Rolle eines agilen Start-ups, das Ihre Branche aufmischen will. Wie würde dieses Start-up vorgehen, um Ihr Geschäftsmodell komplett zu zerstören? Welchen Service, welches Preismodell oder welche Technologie würde es einsetzen? Diese Form von „Wargaming“ zwingt etablierte Unternehmen, die eigene Verwundbarkeit schonungslos zu analysieren. Ein weiteres Gedankenexperiment: Fragen Sie sich, wie ein branchenfremder Player Ihr Geschäft betreiben würde. Ein berühmtes Beispiel: Ein Automobilzulieferer stellte sich die Frage, „Was wäre, wenn McDonald’s unser Geschäft führen würde?“ – die Antwort lieferte überraschende Erkenntnisse zur Vereinfachung und Standardisierung im eigenen Betrieb. Solche Perspektivwechsel entkoppeln das Denken von der üblichen Branchenlogik.

Infokasten: Reflexionsfragen für radikales Umdenken
Welche traditionellen Annahmen über unser Geschäftsmodell müssen wir heute in Frage stellen? (z. B. „Das war schon immer so“ vermeiden)
Wie könnte ein agiles Start-up unser Geschäft angreifen und obsolet machen?
Welche Technologie oder welcher Trend außerhalb unserer Branche könnte unser Geschäftsmodell ersetzen? (Querdenken über Branchengrenzen hinweg)
Wie würde ein branchenfremdes Unternehmen (etwa McDonald’s) unser Geschäftsmodell gestalten? (Denkkontrast nutzen)
Warum tun wir, was wir tun? Was ist unser übergeordnetes „Warum“ (Purpose) und ist es noch relevant?

Solche Reflexionsfragen entfalten ihre Wirkung am besten in Workshops oder Strategiesitzungen, moderiert oder im kleinen Führungsteam. Wichtig ist, die Antworten ehrlich zu betrachten – sie legen oft schonungslos offen, wo das aktuelle Geschäftsmodell hakt oder blinde Flecken aufweist. Das Ergebnis dieses disruptiven Denkprozesses ist kein fertiger Plan, aber es schärft den Blick dafür, was geändert werden muss und warum. Auf dieser Grundlage kann man strukturiert in den eigentlichen Innovationsprozess einsteigen.

Methoden zur Geschäftsmodell-Innovation: Navigator, Canvas & Co.

Für die systematische Erneuerung eines Geschäftsmodells stehen mittlerweile erprobte Methoden und Tools bereit. Vier Ansätze haben sich in Praxis und Lehre besonders bewährt:

  • St. Galler Business Model Navigator: Entwickelt an der Universität St. Gallen, basiert dieser Ansatz auf der Erkenntnis, dass 90 % aller neuen Geschäftsmodelle Rekombinationen bereits bestehender Ideen sind. Das Forschungsteam um Prof. Gassmann identifizierte 55 typische Geschäftsmodellmuster aus 250 analysierten Unternehmen. Beispiele solcher Muster sind etwa „Subscription“ (Abo-Modelle), „Freemium“, „Plattform“ etc. Diese Muster dienen als Inspirationsquelle: Durch gezieltes Kombinieren und Anpassen bewährter Muster entstehen neuartige Konzepte. Der St. Galler Navigator liefert hierzu einen strukturierten Prozess (siehe Leitfaden unten) und sogar ein Kartenset für Workshops, auf dem jedes der 55 Muster mit Definition und Unternehmensbeispiel erläutert wird.
  • Business Model Canvas (BMC): Dieses visuelle Werkzeug von Alexander Osterwalder ist heute quasi ein Standard, um ein Geschäftsmodell auf einer Seite übersichtlich darzustellen. Das Canvas besteht aus neun Bausteinen, die alle wesentlichen Aspekte abbilden: von Kundensegmenten über Wertangebote, Kanäle und Kundenbeziehungen bis hin zu Einnahmequellen, Ressourcen, Kernaktivitäten, Partnern und Kostenstruktur. Das Canvas hilft, Zusammenhänge zu erkennen und Lücken aufzudecken. Durch das Ausfüllen des Canvas – idealerweise im Team auf einem großen Poster oder Whiteboard – werden Schwachstellen offensichtlich. Vielleicht wird bemerkt, dass ein Kundensegment gar nicht so klar definiert ist, oder dass unklar ist, welcher Wert genau angeboten wird. Solche Erkenntnisse sind die Basis, um gezielt Anpassungen vorzunehmen. Der Vorteil des BMC liegt in der einfachen Handhabbarkeit und der gemeinsamen Sprache: Im Team entsteht schnell ein gemeinsames Verständnis des Geschäftsmodells. In diesem Zusammenhang ist auch das Value Proposition Canvas nützlich, mit dem Kundenerwartung und Kundenversprechen neu definiert werden können.
  • Blue Ocean Strategy: Dieser Strategieansatz nach W. Chan Kim und Renée Mauborgne (INSEAD) zielt darauf ab, neue Märkte ohne Wettbewerb zu schaffen – eben einen „blauen Ozean“ statt im blutroten Haifischbecken der Konkurrenz zu schwimmen. Kern ist die Wertinnovation: Durch gleichzeitige Differenzierung und Kostenführerschaft wird ein bislang unerschlossenes Kundensegment angesprochen. Praktische Werkzeuge sind die Nutzenkurve (Strategy Canvas) und das Vier-Aktionen-Format (Eliminate-Reduce-Raise-Create), mit denen man systematisch Faktoren eliminiert oder erhöht, um ein einzigartiges Leistungsangebot zu schnüren. Blue-Ocean-Strategie hilft insbesondere dabei, das eigene Geschäftsmodell jenseits des bestehenden Branchenwettbewerbs neu auszurichten und Quellen neuen Wachstums zu finden.
  • Golden Circle: Dieses von Simon Sinek populär gemachte Modell ist weniger ein Tool zur Geschäftsmodellplanung als ein Leitprinzip für kundenorientiertes Denken. Der „Goldene Kreis“ stellt das „Warum“ in den Mittelpunkt: Warum existiert unser Unternehmen, was ist unser Zweck? Erst danach folgen „Wie“ (die besondere Art und Weise, wie wir Mehrwert schaffen) und „Was“ (die konkreten Produkte/Dienstleistungen). Sineks Ansatz zeigt, dass inspirierende Unternehmen stets vom Zweck her denken und kommunizieren. Für Geschäftsmodell-Innovation bedeutet das: Beginnen Sie bei der Sinnfrage und dem Kundennutzen, bevor Sie Produkte und Prozesse definieren. So stellen Sie sicher, dass das erneuerte Geschäftsmodell wirklich die Bedürfnisse der Kunden erfüllt und von Mitarbeitern wie Kunden mitgetragen wird.

Innovations-Tools im Überblick
Business Model Navigator (St. Gallen): Wissenschaftlich fundierte Methode mit 55 Muster-Geschäftsmodellen als Ideenkatalog. Hilft, durch Rekombination bestehender Konzepte radikal neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Business Model Canvas: Visuelles 1-Seiten-Framework mit 9 Bausteinen, das alle Schlüsselaspekte des Geschäfts abbildet – vom Kundensegment bis zu Kosten und Erlösen. Ideal, um das aktuelle Modell zu skizzieren und Veränderungen durchzuspielen.
Blue Ocean Strategy: Strategischer Ansatz zur Schaffung neuer Märkte. Durch gleichzeitige Differenzierung und niedrige Kosten wird ein einzigartiges Angebot geschaffen, das Wettbewerb irrelevant macht. Bietet Tools wie Strategy Canvas und Vier-Aktionen-Framework zur praktischen Umsetzung.
Golden Circle: Konzeptionelles Modell nach Simon Sinek, startet beim „Warum“ (Purpose) und stellt den Sinn und Kundennutzen ins Zentrum allen Handelns. Schärft die Ausrichtung des Geschäftsmodells an einer inspirierten Vision und erleichtert die Kommunikation der Veränderung.


Die genannten Methoden schließen einander nicht aus – im Gegenteil: In der Praxis werden sie oft kombiniert eingesetzt. So kann ein Team z. B. zunächst mit dem Business Model Navigator verschiedene Muster-Ideen entwickeln (Ideenphase) und diese dann mit dem Business Model Canvas ausarbeiten. Oder man nutzt Blue-Ocean-Denkanstöße, um ganz neue Wertangebote zu ersinnen, und prüft anschließend mit dem Canvas deren Auswirkungen auf Kosten und Erlöse. Der Golden Circle schließlich begleitet den gesamten Prozess als Kompass, damit bei aller Innovationsfreude der grundlegende Zweck und Kundennutzen nicht verloren gehen.

Schwer zu beantworten ist die Frage, ob und in welchem Umfang diese Werkzeuge mit Hilfe externer Berater eingesetzt werden sollten. Sie bringen Erfahrung in der Moderation mit, haben Branchenexpertise und kennen Best-Practices und Fallstricke. Dazu kommt ihr neutraler Blick und sie stecken nicht im Tagesgeschäft. Andererseits ist die permanente Analyse eine Methodenkompetenz, die Bestandteil eines Systems sein sollte und der Veränderungswiderstand gegen Ergebnisse externer Berater ist erfahrungsgemäß höher.

Fünf Schritte zur Erneuerung Ihres Geschäftsmodells

Wie lässt sich nun der Erneuerungsprozess konkret gestalten? Im Folgenden finden Sie einen 5-Schritte-Leitfaden, der sich sowohl für ein selbstständiges Vorgehen im eigenen Unternehmen als auch für moderierte Innovationsworkshops eignet. Er bündelt Elemente der oben genannten Methoden in eine logische Abfolge.

Schritt 1: Ausgangslage analysieren und Dringlichkeit begründen

Am Anfang steht eine ehrliche Bestandsaufnahme Ihres aktuellen Geschäftsmodells. Beschreiben Sie möglichst nüchtern: Wer sind unsere Kunden und was bieten wir ihnen an? Wie stellen wir die Leistung her (Wertschöpfungskette, Ressourcen, Partner) und warum funktioniert das finanziell (Einnahmequellen, Kostenstruktur)? Diese vier Dimensionen – Wer, Was, Wie, Wert – bilden das Grundgerüst eines Geschäftsmodells. Hilfsmittel wie der Business Model Canvas leisten hier gute Dienste, um alle Schlüsselfaktoren sichtbar zu machen.

Ebenso wichtig: Bewerten Sie das aktuelle Modell kritisch. Welche Faktoren gefährden zukünftig unseren Erfolg und wo läuft es unrund? Gibt es externe Trends, Kundenwünsche oder Wettbewerbsschritte, die unser heutiges „Geschäfts-Setup“ ins Wanken bringen? Welche Chancen rund um unser Leistungsversprechen lassen wir ungenutzt, weil unser jetziges Modell sie nicht zulässt? Diese Analyse schafft ein gemeinsames Verständnis im Führungsteam, warum das Geschäftsmodell überarbeitet werden muss – ein entscheidender Motivator für den kommenden Wandel. Oft hilft es, die Ergebnisse schwarz auf weiß festzuhalten, z. B. in Form einer SWOT-Analyse (Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken) oder eines einfachen Problemstatements („Wenn wir so weiter machen, geraten wir bis Jahr X in Schwierigkeiten, weil…“).

Schritt 1 sollte zudem die Change Story vorbereiten: Begründen Sie die Dringlichkeit der Erneuerung auch gegenüber Mitarbeitern und Gesellschaftern. Nur wenn allen klar ist, dass Handlungsbedarf besteht, stoßen die folgenden Veränderungen auf Akzeptanz. Beispiele aus anderen Branchen (das „Kodak-Beispiel“ etc.) können veranschaulichen, was passiert, wenn man notwendige Anpassungen verschläft.

Schritt 2: Neue Geschäftsideen entwickeln (Ideation)

Nun beginnt die kreative Phase: Suchen Sie nach neuen Geschäftsmodell-Ideen, die Ihr bisheriges Konzept ablösen oder ergänzen könnten. Hier zahlt es sich aus, methodisch vorzugehen, um wirklich über den Tellerrand zu blicken. Der St. Galler Business Model Navigator empfiehlt z. B. eine strukturierte Ideation mit den 55 Musterkarten. Die aktuelle Auflage des Sets bietet zudem Platzhalter für neue Geschäftsmodell-Pattern und die TRIZ-Innovationspinzipien lassen sich gut. Mit den 55 Mustern verknüpfen.

Nehmen Sie sich ein Muster nach dem anderen vor und fragen Sie im Team: Was wäre, wenn wir dieses Muster in unserem Unternehmen anwenden? Viele dieser Anregungen mögen auf den ersten Blick abwegig erscheinen – doch genau darin liegt ihr Wert. Die Konfrontation mit branchenfremden Konzepten führt oft zu überraschenden Geistesblitzen. So entstand bei einem Maschinenbau-Unternehmen die Idee, anstatt Maschinen nur zu verkaufen, zusätzlich die „Subscription“-Logik einzusetzen – also dem Kunden Maschinenlaufzeiten als Abo zu bieten, oder sogar geschultes Maschinenpersonal auf Zeit bereitzustellen. Auslöser war die Frage: „Wie sähe unser Angebot im Abo-Modell aus?“ – das Ergebnis war ein völlig neuer Service, der umgesetzt wurde und erfolgreich neue Erlöse brachte.

Für die Ideensuche empfiehlt sich interdisziplinäres Teamwork: Binden Sie Mitarbeiter verschiedener Bereiche ein und – wenn möglich – auch Unternehmensfremde, um Betriebsblindheit zu vermeiden. Nutzen Sie Kreativtechniken wie Brainstorming, aber immer mit Fokus aufs Geschäftsmodell (nicht nur Produktideen!). Hilfreich ist auch der Blue-Ocean-Ansatz: Überlegen Sie, welche Elemente Ihres Angebots Sie radikal streichen oder neu hinzufügen könnten, um einzigartigen Kundennutzen zu schaffen. Generieren Sie so viele Ideen wie möglich, ohne sie vorschnell zu bewerten.

Wichtig in Schritt 2 ist die Offenheit für Ungewohntes. Viele erfolgreiche neue Geschäftsmodelle sind, wie eingangs erwähnt, gar keine völligen Neuschöpfungen, sondern Kombinationen bekannter Muster in neuer Umgebung. Machen Sie sich dies bewusst – das reduziert die Angst vor dem „unmöglichen Neuen“. Das Ziel dieses Schritts ist eine Palette vielversprechender Roh-Ideen, aus denen Sie im nächsten Schritt die besten auswählen und ausarbeiten.

Schritt 3: Geschäftsmodell-Konzept entwickeln

Aus der Ideenvielfalt gilt es nun, ein tragfähiges Geschäftsmodell-Konzept zu formen. Wählen Sie die vielversprechendsten Ideen oder Kombinationen aus Schritt 2 aus. Jetzt kommt die Stunde von Frameworks wie dem Business Model Canvas: Übertragen Sie die neue Geschäftsidee in die neun Bausteine des Canvas, um alle Aspekte des zukünftigen Modells durchzudenken. Wer ist der Zielkunde? Was genau ist das neue Wertangebot? Welche Ressourcen, Partner und Kernaktivitäten werden dafür gebraucht – und welche vorhandenen entfallen womöglich? Wie wird Geld verdient (Abo, Einmalverkauf, Flatrate, Drittfinanzierung etc.) und was bedeutet das für die Kostenstruktur?

Eine vollständige Ausarbeitung ist entscheidend, damit aus einer netten Idee ein realistisches Geschäftsmodell wird. Der St. Galler Navigator spricht hier vom Integrationsschritt, in dem die „vier Dimensionen Wer-Was-Wie-Wert“ konsistent ausgefüllt werden. Checklisten können helfen, nichts zu vergessen – etwa: Deckt unser Konzept die Bedürfnisse aller relevanten Stakeholder (Kunden, Partner, Vertrieb) ab? Brauchen wir neue Kompetenzen oder IT-Systeme? Passen die Umsatzströme zum Kostenblock? Es kann sinnvoll sein, mehrere Varianten durchzuspielen und zu vergleichen (z. B. Szenario A: Einnahmemodell über Abonnements vs. Szenario B: transaktionsbasierte Einnahmen).

In Schritt 3 zeigt sich oft, ob eine Idee wirklich tragfähig ist. Manche visionäre Idee entpuppt sich als unrealistisch, wenn man etwa feststellt, dass die Gewinnspanne nicht ausreicht oder kritische Ressourcen fehlen. Das ist normal – Iterieren Sie zwischen Schritt 2 und 3, indem Sie weniger gangbare Ideen verwerfen und andere aus Ihrer Liste stattdessen detailliert ausarbeiten. Halten Sie das im Team aus: Lieber auf dem Papier scheitern als in der Realität.

Nicht zuletzt: Vergewissern Sie sich des „Why“ Ihrer neuen Geschäftsidee. Entspricht das Konzept Ihrer Unternehmensmission und bringt es dem Kunden echten Mehrwert? Hier schließt sich der Kreis zum Golden Circle: Ein Geschäftsmodell, das kein klares „Warum“ hat, läuft Gefahr, intern wie extern auf wenig Begeisterung zu stoßen.

Schritt 4: Prototypen testen und validieren

Bevor Sie mit dem neuen Geschäftsmodell in vollem Umfang an den Markt gehen, ist Testen im kleinen Rahmen angesagt. Diese Phase wird in der Praxis leider oft übersprungen – ein gefährlicher Fehler. Prüfen Sie Ihre Annahmen durch Experimente: Das kann ein Prototyp Ihres Angebots sein, eine Testfiliale, ein Pilotprojekt mit ausgewählten Kunden oder eine Umfrage. Wichtig ist, Feedback aus der Realität zu bekommen. Welche Elemente des neuen Modells funktionieren gut, wo gibt es Widerstände oder geringere Resonanz als gedacht?

Setzen Sie klare Hypothesen auf, die Sie testen wollen. Beispiel: „Kunden sind bereit, unser Produkt im Abo zu beziehen.“ – Diese Hypothese lässt sich etwa durch ein begrenztes Abo-Angebot für eine Testgruppe validieren. Metriken spielen jetzt eine Rolle: Messen Sie z. B. die Konversionsraten, Nutzungsintensitäten oder Rückmeldungen der Kunden. Scheuen Sie sich nicht vor Anpassungen: Sollte eine Annahme sich als falsch erweisen (etwa Kunden lehnen das Abo ab), justieren Sie Ihr Modell nach. Diese Iterationen sind wertvolle Lernschleifen, um das Geschäftsmodell zu schärfen, bevor großer Schaden entsteht.

Eine Kultur des Experimentierens zahlt sich aus. Erfolgreiche Innovatoren nutzen Methoden wie Design Thinking und Lean Startup, um schnell aus Prototypen zu lernen. Wichtig ist, dass das Top-Management diese Tests unterstützt und Fehler als Lernchancen betrachtet. Schritt 4 stellt die Weichen dafür, dass die Umsetzung anschließend auf einer soliden, erprobten Basis erfolgt.

Schritt 5: Umsetzung und Verankerung im Unternehmensalltag

Nun wird es ernst: Das verfeinerte neue Geschäftsmodell wird ausgerollt. Dieser Schritt erfordert klassisches Projekt- und Veränderungsmanagement. Kommunikation ist jetzt essenziell: Erklären Sie allen Mitarbeitern klar die Vision hinter dem neuen Modell (hier zahlt sich die Why-Formulierung aus Schritt 3 aus!). Vermitteln Sie das „Warum, Wie und Was“ der Veränderung in einer inspirierenden Change Story, damit jeder versteht, worum es geht. Ein oft zitiertes Beispiel ist Apples Kommunikation: „Wir machen Dinge anders (Why) – darum sind unsere Produkte intuitiv und designorientiert (How) – hier ist das neueste Gerät (What).“ Übertragen auf Ihr Unternehmen heißt das: Machen Sie deutlich, welchen Sinn die Erneuerung stiftet – für die Kunden und für die Zukunft des Unternehmens.

Parallel dazu müssen die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Möglicherweise sind Weiterbildungen nötig, damit Mitarbeiter die neuen Abläufe oder Technologien beherrschen. Eventuell braucht es neue KPIs in der Steuerung: Wenn Sie z. B. von einmaligen Verkäufen auf ein Abo-Modell umgestellt haben, rücken Kennzahlen wie monatlich wiederkehrender Umsatz (MRR), Kundenbindungsrate oder Nutzungsgrad in den Vordergrund, statt nur Absatz und Auftragsvolumen zu messen. Passen Sie Ihr Controlling entsprechend an, um den Erfolg des neuen Modells sichtbar zu machen.

Bewährt hat sich dabei das Modell der organisationalen Ambidextrie. Das Unternehmen arbeitet und verändert sich im Kerngeschäft langsamer. Hier sind Prozesse auf Stabilität und Effizienz getrimmt, standardisiert und bewährt. Im neuen Markt haben Innovation und Agilität Vorrang, es gibt eine höhere Risikobereitschaft und die Bereitschaft der schnellen Anpassung und des Experimentierens. Einem solchen Unternehmen der unterschiedlichen Geschwindigkeiten fällt es viel leichter, Disruption zum Teil der DNA des Unternehmens werden zu lassen. Wenn das Management Beharrungskräfte im Unternehmen unterschätzt und nicht in die Überlegungen zur Umsetzung integriert, ist das Scheitern vorprogrammiert.

Die Rolle der Führung ist im Implementierungsprozess entscheidend. Führungskräfte müssen als Vorbilder vorangehen und zeigen, dass das neue Geschäftsmodell eine hohe Priorität hat. Das kann bedeuten, alte Gewohnheiten abzulegen – etwa im Vertrieb statt auf Abschlüsse nun auf langfristige Kundenbeziehungen zu achten, oder in der Produktentwicklung stärker auf Kooperationen zu setzen. Change Agents im Unternehmen – also Multiplikatoren, die die Veränderung unterstützen – können identifiziert und gefördert werden.

Nicht zuletzt: Integrieren Sie den kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Die Einführung des neuen Geschäftsmodells ist kein Ereignis, sondern ein Prozess. Sammeln Sie auch nach dem Roll-out Feedback von Kunden und Mitarbeitern und justieren Sie nach. Planen Sie regelmäßige Review-Meetings, in denen das Führungsteam den Fortschritt bewertet: Werden die erwarteten Vorteile realisiert? Wo hakt es noch? So stellen Sie sicher, dass das neue Modell nicht nur auf dem Papier existiert, sondern tatsächlich im Alltag gelebt wird – und dass es flexibel bleibt, um auf künftige Änderungen wiederum reagieren zu können.

Praxisbeispiel: S+S SoftwarePartner GmbH – erfolgreiche Transformation 2019–2021

Wie wirkungsvoll eine systematische Geschäftsmodell-Erneuerung sein kann, zeigt das Beispiel der S+S SoftwarePartner GmbH. Das 1971 gegründete mittelständische IT-Unternehmen war lange erfolgreich als Spezialist für Unternehmenssoftware und individuelle IT-Lösungen. Doch über die Jahrzehnte sah sich S+S mit einschneidenden Änderungen im Kundenverhalten und Kundenerwartung konfrontiert und die Kundenbasis bröckelte.

Die eigenen Lösungen waren mit den Kunden gewachsen, sprachen aber junge und mittlere Unternehmen nicht mehr an. Heute setzt der klassische komplett auf Subskription, hat das Portfolio neu strukturiert und ein neuer Geschäftsbereich mit einer cloudbasierten ERP-Lösung für KMU trägt nach nur fünf Jahren ein Drittel zum Umsatz bei, der fast verdoppelt wurde und rund um das Wertpapiermanagement ist ein dritter Geschäftsbereich entstanden, der neue Kunden in der Finanzwirtschaft, bei Versicherungen, Fonds und im Bereich Private Equity gewinnt.

Ein im St. Galler Navigator beschriebenes Muster – das Subscription-Modell in Verbindung mit sehr kurzen Projektlaufzeiten und kürzesten Kündigungsfristen– wurde hier gezielt umgesetzt. Das Ergebnis: Das Unternehmen ist zukunftssicher aufgestellt mit drei Produkten mit ganz unterschiedlichen Innovationsgeschwindigkeiten und deutlich profitabler. Ein vierter Bereich hatte sich währenddessen als Irrweg herausgestellt und konsequent wieder eingestellt. Der vermutete Blue Ocean entpuppte sich als trüber Ententümpel. Innovation kann auch immer scheitern bedeuten. Kill Points helfen, den Ausstieg zu prüfen und über den Fortbestand eines neuen Geschäftsmodells zu entscheiden.

Ein bekannteres Beispiel ist das Verlagshaus Haufe. Bekannt für seine Loseblattsammlungen mit Wissen für die Unternehmenspraxis wurden 1993 die Weichen neu gestellt. Heute erwirtschaftet die Haufe Group SE den überwiegenden Teil ihres Umsatzes mit digitalen Inhalten, Lösungen und Fortbildung rund um den Arbeitsplatz. Transformation wurde zum Dauerzustand und wird begleitet durch einen aktiven Organisations- und Kompetenzumbau. Im Verlagswesen ist das Unternehmen für viele ein Vorbild für den Umbau zu einem modernen digitalen Medien- und Softwarehaus.

Fazit: Aufbruch – jetzt aktiv werden

In einer Zeit beschleunigten Wandels gibt es für etablierte Unternehmen keine wichtigere Führungsaufgabe, als das eigene Geschäftsmodell zukunftssicher zu gestalten. Die gute Nachricht: Mit den richtigen Methoden und einer systematischen Vorgehensweise lässt sich dieses scheinbar gewaltige Unterfangen meistern. Entscheidend ist, den ersten Schritt zu tun: Hinterfragen Sie Ihr Geschäftsmodell regelmäßig und strukturiert. Nutzen Sie die vorgestellten Reflexionsfragen, um Denkanstöße zu gewinnen. Stellen Sie ein teamübergreifendes Innovations-Team zusammen und probieren Sie Tools wie den Business Model Canvas oder die 55 Muster des St. Galler Navigator aus. Orientieren Sie sich am 5-Schritte-Leitfaden – vom Problembewusstsein bis zur Verankerung – und passen Sie ihn an Ihre eigene Situation an.

Zum Abschluss ein konkreter Call-to-Action: Reservieren Sie sich in den nächsten vier Wochen einen Workshop-Tag nur für Ihr Geschäftsmodell. Laden Sie Führungskräfte und kreative Köpfe aus Ihrem Unternehmen ein. Analysieren Sie gemeinsam den Status quo, spinnen Sie mutige „Was-wäre-wenn“-Szenarien, und entwerfen Sie mindestens eine neue Geschäftsmodell-Idee oder lassen sie kritische Köpfe Beerdigungsreden halten. Selbst wenn nicht sofort alles umsetzbar ist – Sie starten damit den notwendigen Erneuerungsprozess. Die Zukunft gehört denjenigen, die ihr Geschäftsmodell proaktiv neu erfinden, bevor es andere tun. Beginnen Sie jetzt, und führen Sie Ihr Unternehmen zukunftssicher in die kommenden Jahrzehnte!

 

Quellen: Die im Artikel erwähnten Modelle und Beispiele basieren auf fundierten Veröffentlichungen und Praxisbeispielen, u. a. vom
Institut für Technologiemanagement St. Gallen alexandria.unisg.chalexandria.unisg.ch, INSEAD knowledge.insead.edu,
Strategieexperten wie Osterwalder bmtoolbox.net,
Kim/Mauborgne blueoceanstrategy.com und
Sinek simonsinek.com, sowie Unternehmensangaben der S+S SoftwarePartner GmbH softwarepartner.netsoftwarepartner.net und der Haufe Group SE. Für beide Unternehmen war der Autor viele Jahre in leitender Position als Geschäftsführer bzw. als Vorstand tätig.

 

Dirk Forke
Dirk Forkehttps://www.softwarepartner.net/
Dirk Forke ist seit Jahrzehnten im ERP-Umfeld zuhause. Nach langjähriger Tätigkeit als Managing Director bei Haufe-Lexware führt er seit 2019 als Geschäftsführer das ostwestfälische Systemhaus S+S SoftwarePartner GmbH. Seine Schwerpunkte liegen in der praktischen Umsetzung moderner ERP-Lösungen – mit einem klaren Fokus auf Cloud-ERP-Projekte.
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